VERNISSAGE
Montag, 4. Juni 2012 19.00 Uhr
GEORG CHAIMOWICZ
KÄMPFER IN WORT UND BILD
(03.Juni 1929 - 05.Juni 2003)
Die Ausstellung des Kämpfers gegen
den Nationalsozialismus zeigt das breite
künstlerische Spektrum des Ausnahme-
Künstlers und -Menschen: Zeichnungen,
Collagen, Objekte, Plakate ...
Die Ausstellung kann in der Galerie Time
bis 15. Juni 2012 MO-FR 17 – 19 Uhr
und SA 10 – 12 Uhr besichtigt werden.
Eintritt frei!
1929 in Wien geboren, wurde er 1939 von den Nationalsozialisten aus seiner Heimatstadt vertrieben. Nach der Flucht mit seinen Eltern und Geschwistern über Brünn, Prag, Amsterdam gelangte er nach Bogotá (Kolumbien), wo er an der Escuela de Bellas Artes de la Universidad Nacional in Bogotá studierte. „Das Phänomen Intoleranz lernte der Wiener in seiner frühesten Kindheit kennen. Nicht zuletzt deshalb haben das Thema Ausgrenzung und die Beschäftigung mit der Shoa und dem Nationalsozialismus sein Werk geprägt.“ (Der Standard - derstandard.at/1324680)
Über die USA, Frankreich und die Schweiz kehrte die Familie 1949 nach Wien zurück.Chaimowicz setzte sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste bei Sergius Pauser, Herbert Boeckl und Martin Polasek fort. "Aus dem verwöhnten Judenpinkel wird sowieso nix", bekam der 20-jährige Georg Chaimowicz bei seiner Aufnahme an die Wiener Akademie der bildenden Künste zu hören.
Der politische Künstler legte in seinem malerischen, zeichnerischen und plastischen Werk faschistische Züge bloß. Erste politische Zeichnungen stammten aus den Jahren 1938/1939, in denen der zehnjährige seine abgrundtiefe Abneigung gegen Hitler ausdrückte, indem er ihn zeichnete und mit dem spitzen Bleistift durchbohrte.
In einem Artikel anl. des 80 Geburtstages des Künstlers schreibt die Illustrierte
„Neue Zeit“: „Chaimowicz suchte stets die politische wie künstlerische Auseinan-
dersetzung und hörte nie auf, Antisemitismus und Rechtsradikalismus anzukla-
gen. Er nannte die Dinge beim Namen und scheute auch nicht gerichtliche Aus-
einandersetzung mit politischen Gegnern. Neben satirisch-politischen Zeich-
nungen entwickelte er in seiner Kunst eine zeichenhafte, auf wenige Spuren
reduzierte Formensprache. Oftmals verwendete er weiße Farbe auf einer weißen
Leinwand, wodurch diese strukturiert wurde. Andererseits bearbeitet er die Flä-
che mit Kratzern und Ritzungen.“
Die Kunsthistorikerin und Judaiistin Felicitas Heimann Jelinek schrieb in ihrem
Nachruf 2003 in der Illustrierten Neuen Welt: „Es handelt sich um Blätter, die nur
kaum sichtbare Male aufweisen, von denen der Betrachter nicht weiß, ob sie
verletzen sollen oder selbst Verletzungen sind. Die unscheinbaren Male irritieren
den Betrachter, fordern ihn heraus zur Frage nach seinem Sinn, zur Frage, was
man denn nun hier sieht, bis zur Frage, was man denn nun hier nicht sieht. Für
Chaimowicz lag der Erkenntnisgewinn nicht in diesen Bildern, sondern in dem
Prozess, in dem sie entstanden, einem Prozess, der sich dem Betrachter nur mit-
teilt, wenn er sich auf eine völlig losgelöste, meditative Schauweise einlässt.“
Jahrelang war der in Vence (Frankreich) und Wien lebende Künstler Mitarbeiter
der Illustrierten Neuen Welt. In den 1990er Jahren kommentierte er Zeichnungen
aus den 60ern, die als Beilage der Zeitung beigefügt wurden. Auch einige Heft-
cover zierten Werke des Künstlers. Das Medium schätzte den engagierten Mit-
arbeiter sehr: „Die Illustrierte “Neue Welt” hatte das Privileg, ihn viele Jahre als
Mitarbeiter zu schätzen und manchmal auch zu fürchten gelernt. Besonderes
Echo fanden seine Kommentare in den 90-er Jahren zu seinen Zeichnungen
aus den 60-er Jahren. Schon damals stellte er die Weigerung Österreichs, sich
mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, an den Pranger. Seine Offenheit
und sein undiplomatisches Vorgehen waren auch die Gründe, warum ihm erst
relativ spät die wohlverdienten Ehren zuteil wurden.“
Im Rahmen einer Feier im Jüdischen Museum zum
70. Geburtstag im Jahr 1999 beschrieb der Wiener
Kulturstadtrat, Peter Marboe, den vielseitigen Künstler:
„Er ist ein unbequemer Zeitgenosse, der sich sein
Leben lang treu geblieben ist in seinem Kampf gegen
den Ungeist von Intoleranz, altem und neuem Faschis-
mus und Inhumanität.”
Chaimowicz Gesamtwerk besteht aus rund 26.000 Arbeiten. Neben satirisch-politischen Zeichnungen
entwickelte er eine zeichenhafte, auf wenige Spuren reduzierte Formensprache. In den 1960er Jahren
wurde Chaimowicz vor allem aufgrund seines künstlerischpolitischen Auftretens gegen ehemalige
Nationalsozialisten bekannt. Ein Blatt aus der Serie "Der Bürgermeister von Waidhofen" führte 1963
zu einem Ehrenbeleidigungsprozess, den der Künstler verlor. Die Aufarbeitung der Ereignisse vor
Gericht und die Auseinandersetzung mit (manipulierbaren) Massen und faschistoiden Systemen schlug
sich in ersten schwarz-weißen und "weißen" Arbeiten nieder ("Der Richter" 1966, "Der Marschierer",
1968). Aus dem Nachruf im Jahr 2003 in der Zeitung „Der Standard“ „Aus dem Totenschädel, aus dem
Helm, aus dem Marschierer, aus der Visage der nicht unbekannten politischen Persönlichkeit, aus dem
Hakenkreuz werden stille schmale Zeichen", schrieb Friedrich Heer über den Künstler. Empörung und
Schmerz verdichteten sich zu einem weißen Pfad. 1974 entstand "Surface", eine wegweisende "weiße"
Arbeit, die "den Kulminationspunkt seines Weges zum Bildlosen" darstellt, sagte Karl-Albrecht Weinberger,
Direktor des Wiener Jüdischen Museums, einmal. "Weiß ist die Farbe aller Farben", befand Chaimowicz.
Sie biete die größte Skala an Assoziationsmöglichkeiten.
In einer Initiative zusammen mit seinem Großcousin, dem jüdischen
Funktionär Elie Rosen und dem Aktivisten Peter D. Eggenhofer trat
er Ende der 1980er Jahren erfolgreich gegen den Abriss der
Badener Synagoge auf.
Chaimowicz erhielt im Jahre 1995 das Österreichische Ehrenkreuz
für Wissenschaft und Kunst, 1999 das Goldenen Ehrenzeichen des
Landes Wien und im Jahr 2000 das Österreichische Ehrenkreuz für
Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Laut der Zeitung „Der Standard“
erhielt Chaimowicz die Auszeichnung im Jahr 2000 in einer kurz-
fristig angesetzten Zeremonie unmittelbar vor der Bildung der ersten
schwarz-blauen Regierung, da er es abgelehnt hatte, das Ehren-
kreuz von einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung anzunehmen.
Quellen:
wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Chaimowicz
Neue Welt http://www.neuewelt.at - Felicitas Heimann Jelinek
(Kunsthistorikerin und Judaiistin), Petra M. Springer
Der Standard - http://derstandard.at/1324680
Kunst Information Archiv: basis wien - http://www.basis-wien.at/db/person/15065
Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek - http://www.onb.ac.at/
2008 Kunst + Politik, MUSA Museum auf Abruf
2000 Gegen Krieg und Gewalt, Neue Galerie der Stadt Linz
2000 TransAct. Georg Chaimowicz, museum in progress,
Kunst im öffentlichen Raum
1999 "Unser Schuldbuch sei vernichtet!
Ausgesöhnt die ganze Welt", Galerie Ariadne
1999 Georg Chaimowicz. Wege im Weg zum Bildlosen,
Jüdisches Museum, Malerei
1998 Die Schöpfung II, Galerie Ariadne
1998 Die Schöpfung, Galerie Ariadne
1992 Zu Papier gebracht. Wiener Kunst seit 1945, Museum auf Abruf,
Magistrat der Stadt Wien - Kulturabteilung
1991 Lieber Papa! - Ein Kind sieht den 2. Weltkrieg und schickt
dem Vater Karten ins Gefängnis, Kammer für Arbeiter und
Angestellte Wien, Zeichnung
1989 sechzig - Zeichnungen einer Generation,
Graphische Sammlung Albertina
1986 Chaimowicz. Stille Antwort - Frühe Warnung,
Jüdisches Gemeindezentrum, Zeichnung
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Georg Chaimowicz seine Diplomarbeit "Steinernes Selbstbildnis – Psalm 129" beendete: In einer Wüstenlandschaft steht ein barockisierender Steinsockel, auf ihm erhebt sich das Selbstbildnis, auf der Stirn einen Davidstern tragend. Eine kleine Figur links wendet sich ab. Das Bild ist von fast unerträglicher Spannung, hervorgerufen durch die Gegensätze, die zwischen der formalen Dynamik des Sockels und der Statik der Wüstenlandschaft herrschen, zwischen der Bewegung der kleinen, sich entziehenden Gestalt und der steinernen Starre des massiven Porträts. Nicht zuletzt erhöht die Spannung der Magen David, den sich der Künstler stolz auf die Stirne stempelte, mit anscheinend leichter Hand bestätigte, dass er abgestempelt war. Demonstrativ wandelte er das Mal, das ihn stigmatisieren sollte, um in ein Zeichen trotziger Erhabenheit. Vor diesem Stolz muss die kleine Figur der Abwendung kapitulieren, sie verlässt das Bild und seinen Schöpfer, der Psalm 129 als Interpretationshilfe anbietet: "Oft haben sie mich bedrängt, von Jugend an; doch sie konnten mich nicht bezwingen. Auf dem Rücken pflügten mir Pflüger, zogen ihre langen Furchen. Der Herr ist gerecht! Er zerschnitt die Stricke der Frevler. Beschämt wandten alle sich ab, die Zion hassen!”(2-5). Auch sonst ist nichts an diesem Gemälde zufällig, jedes Detail hat seinen Sinn. Die Wüstenlandschaft symbolisiert das, was nicht vorhanden ist, ein bewusstes Nichts, in dem der Ursprung der Kreativität liegt, ein Nichts, das ein neues Etwas erst ermöglicht. Mit dem Sockel huldigte der Künstler dem Barock, diesem wunderschönen, effektiven Schmuckstil, der die nüchterne Welt triumphal zu überwinden scheint, Transzendenz vorgebend aufs Jenseits verweist und die Wirklichkeit ästhetisch verschleiert. In diese opulente barocke Welt, die die europäische Kultur so nachhaltig Jahre geprägt hat, schaltete sich der Maler Chaimowicz ein und zollte ihr seinen Tribut, indem er das künstlerische Erbe zitierte. In diese Welt schaltete sich aber auch der Jude Chaimowicz ein, indem er sich selbstverständlich eingliederte in die europäische Kulturtradition und offensiv Anspruch auf dieses Erbe erhob. Und wer Georg Chaimowicz kannte, weiß, wie viel Anspruch er darauf erhob und wie viel Wert er darauf legte, Europäer zu sein, Österreicher zu sein, Wiener zu sein. In diesem Sinne und für diesen Wert, Österreicher und Wiener zu sein, kämpfte er, oft gegen Windmühlen, öfter gegen reale Feinde, gegen Antisemitismus, Gleichgültigkeit, Vergessen und Verdrängen. Diesen Kampf – oft unkonventionell geführt – konnte nur einer aus Liebe kämpfen, aus verzweifelter Liebe zu dieser Stadt, die ihn weitgehend ignorierte. Ja, Georg Chaimowicz war ein homo viennensis, wie diese Stadt kaum einen zweiten finden, wohl auch nicht suchen wird.
Zwanzig, dreißig und vierzig Jahre nach dem steinernen Selbstbildnis
entstanden seriell geschaffene Papierarbeiten, die nur mehr mit
Kratzern, Ritzungen, Erhöhungen und Vertiefungen versehen waren.
Es handelt sich um Blätter, die nur kaum sichtbare Male aufweisen,
von denen der Betrachter nicht weiß, ob sie verletzen sollen oder
selbst Verletzungen sind. Die unscheinbaren Male irritieren den Be-
trachter, fordern ihn heraus zur Frage nach seinem Sinn, zur Frage,
was man denn nun hier sieht, bis zur Frage, was man denn nun hier
nicht sieht. Für Chaimowicz lag der Erkenntnisgewinn nicht in diesen
Bildern, sondern in dem Prozess, in dem sie entstanden, einem Pro-
zess, der sich dem Betrachter nur mitteilt, wenn er sich auf eine völlig
losgelöste, meditative Schauweise einlässt. "Schau” meint in diesem
Zusammenhang kontemplative Vision von etwas kaum mehr Mitteil-
barem, einer Grenzüberschreitung, die der Künstler während der
Arbeit durchlebt hat. Vielleicht hilft eine Geschichte, die im babyloni-
schen Talmud tradiert wird, sich dem Hintergrund dieser Arbeit zu
nähern. Im Traktat Chagiga 14b-16a, wird erzählt: "Vier traten in das
Paradies ein, und zwar Ben Azaj, Ben Zoma, Acher und Rabbi Akiba",
wobei "Paradies" die Umschreibung für eine metaphysische Welt ist.
"Ben Azaj schaute und starb", weil er sich zu sehr in diese Welt vertiefte.
"Ben Zoma schaute und kam zu Schaden", weil er an dieser Welt irr-
sinnig wurde. Acher wurde abtrünnig, eben ein anderer. Nur "Rabbi
Akiba stieg in Frieden hinauf und kam in Frieden herunter", auch die
Schau einer anderen Welt lenkte ihn nicht vom Glauben an das Wesentliche ab. Die Suche nach dem Wesent-
lichen scheint hinter diesen bildlosen Bildern zu stehen, eine Suche, die den Glauben daran voraussetzt sowie den Willen, dieses Wesentliche zu ertragen. Sowohl die Suche nach dem Wesentlichen als auch das Akzep-
tieren dieses Wesentlichen scheinen charakteristisch zu sein für eine spezifisch jüdische Kunst, deren Vertreter Georg Chaimowicz mit großem Stolz war.
In seiner "Ästhetischen Theorie" hatte Theodor Adorno sein provokantes Diktum formuliert, dass sich nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben ließen. Es war im übertragenen Sinne zutiefst ernst gemeint. Ihm ging es dabei um die ästhetische Form. Nach der Katastrophe der Shoah und vor den Katastrophen, die noch folgen sollten, darf es einfach keine nur mehr "schöne" Kunst geben, die lediglich eine ideologische Mitläuferin wäre. Kunst muss die Wahrheit aufdecken und die Wahrheit ist hässlich: "Die Male der Zerrüttung sind das Echtheitssiegel der Moderne", so Adorno. Ein wahres Kunstwerk kann daher nicht mehr harmonisch sein, nicht versöhnlich, nicht glättend, nicht farbenfroh, wenn es die Welt authentisch abbilden will. Und nur die authentische Widerspiegelung der Wahrheit macht ein Kunstwerk des 20. und 21. Jahrhunderts zu einem solchen. Wo dieser Anspruch nicht gestellt wird, entsteht auch keine Kunst, höchstens eine affirmative Ästhetik. Es führt ein direkter Weg von Adornos "Malen der Zerrüttung" zu Chaimowicz‘ "Surface II (Lanzen)"-Serie aus dem Jahr 1992, in der die Tusche nur mehr zum Signieren taugt. Die eigentlichen Bilder sind Ritzungen, feinlinige Zerrüttungen am Papier. In diesem Sinne war Georg Chaimowicz nicht nur ein jüdischer Künstler, sondern auch ein konzeptioneller Künstler.
Oft habe ich Georg Chaimowicz gefragt, ob er sich selbst als jüdisch-
religiösen Künstler sah. Immer gab er komplizierte Antworten, die in
einem einfachen "ja" mündeten. Ein anderer jüdischer Künstler, und
zwar Barnett Newman, beantwortete dieselbe Frage mit dem Zitat des
Hawdala-Segens: "Gepriesen seist Du Herr, unser Gott, König der Welt,
der du unterscheidest zwischen dem was heilig und was nicht heilig ist".
In völliger Übereinstimmung mit Chaimowicz setzte er hinzu: "Dies ist
das Problem, das künstlerische Problem, und, wie ich denke, die wahre
sprirituelle Dimension". Und diese spirituelle Dimension ist es auch, in
die Georg Chaimowicz' verschlungene Wege zu Bildern führten, die auf
der jüdischen Tradition eines angenommenen Bilderverbots basierten.
Die Auseinandersetzungen, die Georg Chaimowicz mit sich und seiner
Kunst führte, hatten ihre Wurzeln in der biblischen Frage nach dem
"Wahrhaftigen", dem "Richtigen". Die Auseinandersetzungen, die Georg
Chaimowicz mit seiner Umwelt führte, hatten ihre Wurzeln in der demo-
kratischen Frage nach dem "Wahrhaftigen", dem "Richtigen". Beide
Auseinandersetzungen waren für alle Beteiligten oft schmerzhaft, doch
sie führten zu jenen lebendigen Dialogen, die so charakteristisch für
das Zusammentreffen mit Georg Chaimowicz dem Künstler, dem Wiener,
dem Demokraten und dem Juden waren. Sein größter Wunsch war es,
dass sich diese Dialoge auch nach seinem Tod fortsetzen mögen.
Seine Freunde werden sich dafür einsetzen.
Quelle: http://www.neuewelt.at/artikel/#georg
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bobfoto (Samstag, 25 Mai 2019 20:38)
ich bin stolz ihn als Freund gekannt zu haben